Das AG Regenburg hat mit Urteil vom 05.07.2013 die mit Abmahnungen wegen Verstöße in AGB beauftragte Kanzlei U+C Rechtsanwälte auf Klage eines Abgemahnten zur Zahlung von Schadenersatz wegen rechtsmissbräuchlicher Massenabmahnungen verurteilt.

 Sachverhalt

Die KVR GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte war, hatte die Kanzlei U+C mit der Versendung von mindestens 1.043 Abmahnungen gegenüber vermeintlichen Konkurrenten wegen leicht erkennbarer Fehler in den AGB und verstöße gegen die Anbieterkennzeichnung (§ 5 TMG) beauftragt. Von den jeweils Abgemahnten wurde neben Unterlassung und Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung die Zahlung von Abmahnkosten iin Höhe von 651,80 EUR gefordert. Das Abmahnvolumen bezifferte sich daher auf über 650.000,00 EUR.

Der abgemahnte Kläger wies die Forderungen der KVR zurück und forderte diese auf, innerhalb einer bestimmten Frist zu erklären, dass sie ihre angeblichen Ansprüche nicht mehr weiterverfolgt. Da die KVR dieser Aufforderung nicht nachkam, erhob der Abgemahnte eine sog. negative Feststellungsklage und Klage auf Erstattung der ihm wegen der Abwehr der unberechtigten Abmahnung entstandenen Anwaltskosten zunächst gegenüber der KVR GmbH. Diese wurde entsprechend verurteilt.

Da diese in Insolvenz fiel und die Zahlungsansprüche des Klägers nicht voll befriedigte, erhob der Abgemahnte Zahlungsklage gegen den Geschätsführer der KVR GmbH persönlich und die Kanzlei U+C.

Entscheidung AG Regensburg

Das AG Regensburg gab der Klage statt und legte in seinem 21 Seiten (!) umfassenden Urteil vom 05.07.2013 ausführlich dar, dass sowohl der Geschäftsführer persönlich als auch die Abmahnkanzlei in sittenwidriger Schädigungsabsicht gehandelt und daher zum Schadensersatz verpflichtet sind.

Indizien für missbräuchliche Massenabmahnung

Zunächst stufte das Gericht die Abmahnungen als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung ein.

"Ein Anspruch gemäß § 826 BGB erfordert eine vorsätzliche Schadenszufügung, die einerseits sittenwidrig sein muss, also gegen das sogenannte Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt und andererseits besonders verwerflich ist, wobei sich diese Verwerflichkeit aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann. Insoweit ist anerkannt, dass auch der Missbrauch formaler Rechtspositionen unter § 826 BGB fallen kann, wenn dieser sich nach Würdigung sämtlicher Umstände als besonders verwerflich herausstellt."

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich die KVR GmbH im Zeitpunkt der Versendung der Massenabmahnungen in einer "absoluten Start-up-Phase" befunden hatte, zu keinem Zeitpunkt ernsthaft geplant hatte, dauerhaft Online-Handel zu betreiben, diese nicht über eine ausreichende Kapitaldecke verfügte um das Kostenrisiko der Abmahnungen auch nur annähernd zu decken, vielmehr die KVR GmbH nur einen minimalen geschäftlichen Betrieb eingerichtet hatte, um ein Wettbewerbsverhältnis vorzutäuschen. Auch aus den zahlreichen weiteren Indizien ergebe sich, dass

“es dem Beklagten zu 2) [letztlich] darum gehe durch eine weitgehende automatisierte Abmahntätigkeit auf Kosten anderer Online-Shops-Betreiber, die versuchen, so ihre Existenz zu sichern, Geld zu generieren, ohne selbst wirklich zu arbeiten.”

Persönliche Haftung des Geschäftsführers der GmbH

Daher hafte der Geschäftsführer der KVR GmbH auch persönlich:

“Zwar haften Gesellschafter einer GmbH für ihr Tun im Rahmen dieser Tätigkeit regelmäßig nur in den Fällen der sog. Durchhaftung persönlich. Dieses gilt jedoch nicht im Rahmen des § 826 BGB. Sittenwidrig verhält sich nämlich nicht die juristische Person, sondern die für sie Handelnden. (...)

Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Abmahnungen gegenüber Geschäftsleuten getätigt wurden, formell tatsächlich fehlerhafte AGB vorlagen und dass das Geschäftsleben eine gewisse Ellenbogenmentalitäte mit sich bringt, ist das Gericht der festen Überzeugung, dass die billig und gerecht Denkenden das Verhalten des Beklagten zu 2) missbilligen und umgangssprachlich als "Abzocke" einordnen würden. (...)

Das Gericht muss nach Durchführung der freien Beweiswürdigung davon ausgehen, dass der Beklagte zu 2) die Handelstätigkeit der KVR Handelsgesellschaft mbH lediglich eingeleitet hat, um ein Wettbewerbsverhältnis zu möglichst vielen Online-Händlern vortäuschen zu können und niemals vorhatte, tatsächlich langfristig im Wettbewerb tätig zu werden. Dominierendes, um nicht zu sagen einziges Ziel der Tätigkeit des Beklagten zu 2) bzw. der GmbH, deren Geschäftsführer er ist, war es, andere Geschäftsleute, insbesondere mit kleinen Online-Shops, zu schädigen und zur Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren zu bewegen."

Haftung der Abmahnkanzlei

Die Haftung der Abmahnkanzlei U+C begründete das Gericht damit, dass diese Kenntnis von dem sittenwidrigem Verhalten der KVR GmbH hatte:

"Auch insoweit ergibt sich der zugesprochene Anspruch gem. § 826 BGB, da das Gericht den zu unterstellenden Sachverhalt für sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB erachtet und von einer verwerflichen Gesinnung der gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu 1) ausgehen muss. (...)

Das Gericht geht bei der Entscheidung nach § 138 III ZPO davon aus, dass den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu 1) im Rahmen ihrer Abmahntätigkeit für die KVR Handelsgesellschaft mbH bekannt war, dass letztere faktisch lediglich aktiviert wurde, um ein Wettbewerbsverhältnis zu einer möglichst großen Anzahl von Onlineshopbetreibern vorzutäuschen und eine Abmahnwelle durchzuführen, dass bekannt war, dass diese allenfalls minimale Umsätze generierte und dass auch bekannt war, dass zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt war, die KVR Handelsgesellschaft mbH tatsächlich langfristig zu betreiben.”

Maßgeblich stellte das Gericht bei der Kenntnis der Abmahnkanzlei auf das durch die Abmahnungen generierte Abmahnvolumen ab:

"Alleine die enorme Anzahl der innerhalb kürzester Zeit in Auftrag gegebenen Abmahnungen spricht, gerade bei einer wettbewerbsrechtlich versierten Kanzlei, dafür, dass die unlauteren Ziele der Beklagten zu 1) bekannte waren. Auch die Tatsache, dass durch die 1.043 Abmahnungen eine Gebührenschuld in Höhe von 679.827,40 EUR angefallen wäre, soricht in Anbetracht der offensichtlich dünnen Kapitaldecke der KVR Handelsgesellschaft mbH dafür, dass zwischen den Beklagten eine anderweitige Absprache über die Gebühren getroffen wurde."

Fazit

Jedenfalls in Fällen offensichtlicher bundesweiter Abmahnwellen, die in keinerlei vernünftigem Verhältnis zu den tatsächlichen Umsätzen des Abmahners stehen, besteht eine erhebliche Gefahr auch für die Abmahnkanzleien, dass diese auf Schadensersatz verklagt werden.

AG Regensburg, Urteil vom 05.07.2013, AZ.: 4 C 3780/12