EGMR zur Zulässigkeit identifizierender Presseberichterstattung

Identifizierender Bericht über Treasurer der Hypo Alpe-Adria zulässig

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit Urteil vom 25.10.2016 entschieden, dass eine den Betroffenen namentlich benennende Presseberichterstattung auch bei öffentlich nicht bekannten Personen zulässig sein kann. Vorliegend sah der EGMR die identifizierende Berichterstattung von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Sachverhalt: Identifizierender Bericht über Treasurer der Hypo Alpe-Adria

Die Beschwerdeführerin, die in Wien ansässige Verlagsgruppe News GmbH, ist Herausgeberin der Zeitschrift "Profil".

Im April 2006 erstattete die Österreichische Finanzmarktaufsicht Strafanzeige gegen Angestellte der Hypo Alpe-Adria Bank, u.a. gegen Herrn Rauscher, den damaligen Chef der Treasury-Abteilung. Hintergrund der Strafanzeige war der Vorwurf, Herr Rauscher habe hoch spekulative Transaktionen autorisiert und dabei die Vorgaben des Bank-Vorstandes ignoriert.

Die Beschwerdeführerin veröffentlichte kurz nach der Strafanzeige 2006 einen Artikel in der Zeitschrift „Profil“ über die immensen Verluste bei der Hypo Alpe-Adria Bank, die zu 50% im staatlichen Eigentum stand. Der Artikel widmete sich auch der Frage, ob die Bank über hinreichende interne Kontrollen und Mechanismen zur Vermeidung von Risiken verfügt hatte. In dem Artikel wurden dabei Aussagen des vormaligen Vorstandsvorsitzenden der Bank wiedergegeben, der behauptete, der Treasury-Manager der Hypo Alpe-Adria Bank, Herr Rauscher, habe die internen Richtlinien für Spekulationsgeschäfte nicht beachtet. In dem Artikel wurden auch die gegen Herrn Rauscher geführten strafrechtlichen Ermittlungen dargestellt (die 2008 eingestellt wurden).

Herr Rauscher sah aufgrund seiner namentlichen Nennung in dem Artikel seine Persönlichkeitsrechte verletzt und verlangte von der Verlagsgruppe News GmbH unter Berufung auf das österreichische Mediengesetz die Zahlung von Schadensersatz. Nach § 7 a Mediengesetz dürfen Namen von Personen, die einer strafbaren Handlung verdächtig sind, nur genannt werden, wenn daran ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Wird der Name ohne ein solches öffentliche Interesse genannt, kann der Betroffene Schadensersatz verlangen.

OLG Wien verurteilt Presse zur Zahlung von Schadensersatz an Treasurer

Das Oberlandesgericht Wien verurteilte die News GmbH wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 3.000 EUR. Zur Begründung führte das Gericht an, der Artikel hätte nur allgemein auf den Chef der Treasury-Abteilung Bezug nehmen, diesen aber nicht namentlich benennen dürfen. Zudem hätten sich die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Herrn Rauscher zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Artikels noch in einem sehr frühen Stadium befunden.

Die Verlagsgruppe News GmbH war mit dieser Verurteilung nicht einverstanden und legte Beschwerde beim EGMR ein. Sie sah durch die Verurteilung ihr Recht auf Meinungsfreiheit verletzt.

EGMR: Identifizierender Bericht über Treasurer der Hypo Alpe-Adria war zulässig

Der EGMR gab der Verlagsgruppe News GmbH Recht und bestätigte, dass die Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz das in Art. 10 garantierte Recht auf Meinungsfreiheit verletze.

Zwar sei bei kritischen Berichterstattungen auch stets das in Art. 8 garantierte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu beachten. Zwar verletze der Artikel das Persönlichkeitsrecht von Herrn Rauscher, da er darin namentlich genannt wird, jedoch erachtete der EGMR die Verletzung nach Abwägung aller maßgeblichen Kriterien als gerechtfertigt.

Maßgeblich bei der Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechten sind üblicherweise die folgenden Kriterien:

  • Beitrag des Artikels zu einer Debatte von allgemeinem Interesse
  • Bekanntheit der betroffenen Person und Thema des Artikels
  • frühere Verhalten des Betroffenen
  • Methode der Informationserlangung und ihre Richtigkeit der Information
  • Inhalt, Form und Folgen des Artikels sowie
  • Schwere der für die Veröffentlichung verhängten Sanktion

Darüber hinaus stellte der EGMR im vorliegenden Fall auch darauf ab, ob der Name des Betroffenen vorher der Öffentlichkeit bekannt war und ob sich der Verfasser des Artikels auf einen offiziellen Bericht berufen konnte.

Zunächst stellte der EGMR im Rahmen der Abwägung fest, dass der Artikel einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistet. Die Hypo Alpe-Adria Bank, die enorme Verluste erlitten hatte, habe zur Hälfte in staatlichem Eigentum gestanden, so dass letztlich die Steuerzahler für deren Verluste einzustehen hätten. Die Öffentlichkeit hätte daher ein berechtigtes Interesse, darüber informiert zu werden, wer zum Zeitpunkt der Vornahme der zu den Verlusten führenden Transaktionen die Verantwortung in der Bank getragen hätte.

Da Herr Rauscher eine Führungsposition innegehabt hätte und für erhebliche Summen verantwortlich gewesen sei, bestand letztlich auch ein öffentliches Interesse daran, den Namen des Verantwortlichen zu erfahren.

Zwar handele es sich bei Herrn Rauscher nicht um eine bereits zuvor bekannte Person des öffentlichen Lebens. Die öffentliche Bekanntheit des Betroffenen sei jedoch nur einer von vielen Faktoren, der bei der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Allgemeines Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen sei.

Da der Artikel unstreitig nur richtige Tatsachen enthielt, keine Bedenken an der Informationsgewinnung bestanden und der Name von Herrn Rauscher bereits vor der Artikelveröffentlichung in den Medien genannt worden war, überwiege vorliegend die Meinungsfreiheit.

EGMR, Urteil vom 25.10.2016, Az.: 60818/10 (Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich)